From Belgrade
with Love

Dezember 2023

Fahrt
Auf den Schoss gesetzt/
Dein Herz stolpert

Ich spüre feine Knöchelchen/
Unter weichem Fell

Wohin geht dein Blick?

Der Bus hält/
Dein Besitzer steckt dich zurück/
Schliesst den Reissverschluss 
ganz
Winkt mir zu

Kleiner weisser Hase, was ist dein Schicksal?

 
 
 

Januar 2024

Knoten

Sie pustet sich in die Hände als sie das Restaurant betritt. Ihr Gesicht ist kaum zu sehen unter der flauschigen Kapuze. Schneeweiss ist sie.

Sie geht zu ihrer Mutter, die an einem Ecktisch des Restaurants sitzt, das Geschehen zu überwachen, die Gäste zu bewachen scheint. Alle aus halbgeöffneten Lidern ansieht. Schläfrig und hellwach. Dazu faltet sie Servietten. Nicht eben akkurat. Legt die einen auf einen Stapel zur rechten Hand, die anderen auf einen Stapel zur linken Hand. Weshalb die eine nach rechts, die andere nach links wandert, ist unklar.

Die Tochter beugt sich zur Mutter hinunter, drückt die Wange an die mütterliche Wange, stellt sich vor sie hin und beginnt zu erzählen. Unterstreicht mit Händen, was sie erlebt, was sie gesehen hat.

Beiläufig zieht sie dazu ihre Flauschjacke aus, rollt diese auf dem schweren Tisch aus dunklem Holz zu einem kleinen Ball zusammen. Zieht einen der hier üblichen pastellenen Plastiksäcke in hellblau heran, legt den weissen Ball hinein und knotet den Sack fest zu.

In der ersten Zeit nachdem sie hergezogen waren vor zwei Jahren, hatte sie das nicht getan.

Sie musste lernen, dass der Buchstabe P hier R bedeutete. Bis heute macht sie Fehler beim Schreiben, schirmt ihr Blatt jeweils mit der linken Hand ab. Schreibt ungenau, dass man Buchstaben so oder so deuten kann.

Als Stefan sich vor ein paar Monaten neben sie setzte nach der grossen Pause, war sie verwundert. Seit dem Sommer sass sie allein an einem Zweierpult. «Du stinkst.», zischte er. Eine Schlange.

Obwohl sie wusste, dass das nicht sein konnte, dass sie am Abend zuvor gebadet, ihr Haar gewaschen hatte. Mit der Rosenseife, die sie eigentlich nicht brauchen durfte, weil sie ihrer älteren Schwester gehörte. Die sich so gut aufschäumen liess, deren Bläschen sie pusten konnte. Rosenrot. Wölkchen am Abendhimmel.

«Du stinkst.»

«Wie ein ganzes indisches Restaurant stinkst du.», wiederholte er.

Da war eine Stille in ihr. Sie sah starr geradeaus, gab vor, dem Unterricht zu folgen. Schrieb die Rechnungen akribisch von der Wandtafel in ihr Rechenheft ab.

Er sah sie von der Seite an, immer wieder. Sie spürte seine Blicke. Feine Messerstiche auf ihrer Haut. Ihrer braunen Haut, dachte sie plötzlich.

In der nächsten Pause ging sie aufs Klo, hastig ging sie, verstohlen, sah sich nicht um. Sie schloss die Tür hinter sich ab, versuchte den Türknauf noch ein weiteres Mal zu drehen, und roch an sich, an ihrem Ärmel. Zog den Pulli im Brustbereich hoch. Hob die Arme, den rechten, den linken, roch an ihren Achselhöhlen.

Sie roch keinen Schweiss.

Sie roch würzig. Der Geruch erinnerte sie an das Haus ihrer Grossmutter. An die Wärme, das Meer, das man hört. Das andauernde Brechen der Wellen am kleinen Felsenstrand.

Und von Fern war da immer noch Rose.

Nach Unterrichtsschluss trödelte sie, um nicht mit den anderen das Klassenzimmer verlassen zu müssen. Der Lehrer, Herr Ilic, war schon lange gegangen. «Schliess die Tür hinter dir.», hatte er ihr gesagt.

Nicht unfreundlich.

Als sie das Schulgebäude verliess, sah sie eine Gruppe ihrer Klasse, Stefan einer von ihnen. Sie sahen zu ihr herüber. Die Fäuste geballt, aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein.

Sie ging zur Bushaltestelle gegenüber. Setzte sich auf die Wartebank. Bald war sie nicht mehr zu sehen hinter den Leuten, die vor ihr auf den Bus warteten, eifrig, die Hälse reckten. Die so anders warteten als bei ihr Zuhause. Auch sie sah Unterschiede. Jetzt. Hatte diese schon immer gesehen, aber sich nichts dazu gedacht.

Es war halt so.

Im Bus presste sie ihre heisse Wange an die kalte Scheibe, sah schon von weitem die grosse Baustelle, aus der das Haus wie ein Zahn im Mund eines alten Mannes ragte. Sie stieg aus, blieb mit der Hose hängen, fing sich wieder. Sah zu den Fahrgästen im Bus.

Auch sie ekelten sich vielleicht vor ihrem Geruch. Hier muss man nach Zigarettenrauch und gegrilltem Hähnchen riechen. Nach Weihrauch und starkem Aftershave, dachte sie für sich.

Daheim ging sie ohne eine Wort durch das Restaurant, die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer. Legte sich aufs Bett, dessen rote Tagesdecke die Wände in ein sanftes Licht tauchten.

Sie presste die Augen zusammen, doch es kamen keine Tränen. Da war nur etwas Grosses, Schwarzes in ihrem Bauch, ein Tier, ein hungriges, das Licht frass.

 
 

Februar 2024

Zu sitzen [1] 

einen Baum zu sitzen zu träumen auf Ästen die hängen über Balkone

hinabgleiten von ihnen auf Stühlen sitzen an runden Bistrotischen

Gläser darauf die aneinander klirren lauter als erwartet

ziveli sagt einer, ziveli antworten wir

wir schauen uns lachend in die Augen

es bleibt am Mundwinkel hängen das Lachen der süsse Wein

tropft auf den Boden eine Fliege labt sich daran an der Süsse nie gekannt

sie taumelt leichter Fang für die Katze die spielt sie in die Luft schleudert nur spielt nicht frisst

die sich abwendet und davongeht geschmeidig lautlos die Katzentreppe

unter sich das Gras spürt das Grüne das Frische dazwischen Primeln in rosa und gelb

der Apfelbaum knospet

er blüht noch nicht


[1] Friedrike Mayröcker: was brauchst du

(2) To sit

to sit in a tree to dream on branches hanging over balconies

gliding down from them sitting on chairs at round bistro tables

Glasses clinking together louder than expected

one says ziveli, we answer ziveli

we look into each other's eyes, laughing

the laughter lingers at the corner of our mouths the sweet wine

drips onto the floor a fly feasts on the unknown sweetness

she staggers, an easy catch for the cat who plays, flings her into the air only plays doesn’t eat

who turns away and walks smoothly and silently down the cat stairs

beneath her the grass feels like green like fresh in between primroses in pink and yellow

the apple tree buds

it does not yet blossom

 

März 2024

 "Gardening the Unknown" - from a collage on the wall to the final product : a zine with a cycle of nine poems and nine poster collages on the back...many steps and helping hands were needed:)
Thanks to Jovan for the printing, helping with folding, colouring and cutting; Elodie for editing the translation into English; AK for the great stickers and Christof, Ilija and Alma for their support.
And last but not least thanks to atelje_beograd, SKK and the city of Burgdorf, who made all this possible.